[September 2020] Aufmerksam geworden auf den kleinen Produzenten außergewöhnlicher Weine bin ich auf den üblichen Social Media-Kanälen. So richtig neugierig auf das Weingut wurde ich durch den Hammer-Tinto Geira Castelão 2018, der sich bei starker Konkurrenz absolut auf Augenhöhe präsentierte ...
Quinta da Emegeira: Hier seit ihr richtig, wenn es um "funky" Weine geht. Weine mit dem gewissen Extra! Der Brasilianer Ricardo Melo hat das nördlich von Lissabon, unweit von Torres Vedras gelegene Weingut übernommen und bringt es jetzt Schritt für Schritt auf Vordermann ...
Ricardo macht wilde Weine und experimentiert viel. Die soldide Basis für Weine, die zu überzeugen wissen, ist die Zusammenarbeit mit dem Önologen José Augusto Fasolo (vom brasilianischen Weingut Domínio Vicari). Ricardo und "Gugu" produzieren am Limit, sind bereit Wagnisse einzugehen und auch mal ein paar Fässer "in den Sand zu setzen" ...
Wobei, Fässer? Eher Stahltanks und "Beton-Eier"! Ricardo experimentiert tatsächlich auch mit Barriques: CF Untoasted? Ich übersetz das einmal: Carvalho Francês (Französische Eiche) OHNE, dass das Fass ausgebrannt wurde. Das Prinzip der Naturweine ist halt: So wenig Intervenieren wie möglich! Weniger ist mehr!
Reifes, gesundes Lesegut. Ohne Chemie. Handverlesen, kleine Mengen. Alles Parameter, die dafür Sorgen, dass man nicht nur nachhaltig erzeugte Weine für das gute Gewissen im Glas hat, sondern echte Spaßbringer, die den Gaumen rocken!
Die Rebanlagen liegen im am Rande einer Hügelkette. Die Kühle und die Feuchtigkeit des Atlantik fangen sich hier und tragen zu jener Frische der Vinhos bei, die man durchweg und unabhängig von der Farbe, bei allen Weinen deutlich wahrnimmt. Perfekte Voraussetzungen für einen "lebendigen", unkonventionellen Weinstil! Die Rebzeilen sind im Westen eingefasst von einem Saum aus Laub- und Nadelbäumen. Jene Bäume waren es, in denen Ricardo in den Abendstunden eine seltene Ginsterkatze entdeckte, die dann namensgebend für das Weingut wurde.
Ricado nahm mich mit zu einem Spaziergang durch seine Parzellen. Die Trauben waren ja bereits gelesen, aber wir probierten ausgiebig die übrig geblieben Trauben. Vieles davon, was noch an den Rebstöcken hing, hätte problemlos als Tafeltrauben durchgehen können. Der Vorteil vom "Organic Farming": Alles ohne Chemie, Genuss ohne Reue ...
Tanksample vom Cristovan, dem "Curtimenta" aus der Rebsorte Arinto. Alle Weißweine der Quinta werden mit Maischekontakt vergoren. Straffe Säure, geradlinig am Gaumen (vinhos naturais produzidos com uvas orgânicas)!
Spannendes Portfolio, durch das ich mich umfangreich durchprobieren konnte. Die hübschen Etiketten steuert eine befreundete, brasilianische Künstlerin bei.
Ob Portugal mit seiner gigantischen Rebsortenvielfalt ausgerechnet die Marselan braucht sei dahingestellt: Das Ergebnis in der Flasche (in Form eines dunklen, aber leichten Rosés, mit geschmacklich ordentlich Bums), weiß jedenfalls zu überzeugen. Der Jahrgang ist leider restlos ausgetrunken, es gab insgesamt nur 460 Flaschen, deshalb erspare ich mir Preisangaben usw.
Der Cristovan 2019, ein messerscharfer Orange aus der Arinto, mit stabilen Rückrat aus einer feinen Säure. Schöner Trinkfluss. Perfekt für die Terrasse bei sonnigen Temperaturen, aber eben mit so viel mehr Substanz als z.B. ein Sauf-Branco. Ricardo schmunzelte: Der Wein wird ihm geradezu aus der Hand gerissen, die Leute sind wild auf das Zeug ...
In die Alicante Bouschet bin ich ja eh verschossen. Mir dem Selva 2019 liefert Ermegeira eine ungewöhnlich frische, leichte Variante, deren "Spritz" die Frische betont. Die Nase ist erst etwas "rüpelhaft", aber das legt sich nach einer Viertelstunde "atmen" und der leichte Tinto, mit nur 12,50 % Vol., rauscht saftig den Gaumen runter. Brombeere, mürber Apfel, das volle Programm komplexer Aromen bei einem sehr harmonischen Gesamteindruck. In Portugal unter 20 EUR, in D knapp darüber.
Ricardo präsentiert ein breites Portfolio an unorthodoxen Weinen. Wenn man bereit ist seine "Comfort Zone" zu verlassen, wird man reich belohnt! Das Leben ist zu kurz um keine (geschmacklichen) Risiken einzugehen. Just try it!
Auch in der Nachverköstigung mitten im Dezember, wo man ja eher versucht ist, die "fetten Schnecken zum Kaminfeuer" aufzuploppen, präsentiert sich der Tinto aus der Rebsorte Alicante Bouschet, die ja gerade dazu prädestiniert ist, eben jene warmen, molligen Roten abzuliefern, mit einer grandiosen Frische und Fruchtigkeit bei einem leichten Fizz, der zum animierenden Trinkfluss beiträgt. Geiler Tropfen, der mir bei 14 - 15°C und nachdem er etwas Luft hatte am besten gefällt!
Mit lebendigen Beerennoten und einer frischen Würzigkeit überzeugt der rote Mia 2019 am Gaumen. Der sortenreine Tinta Roriz (Tempranillo heißt die Rebsorte in Spanien) präsentiert sich saftig, mit Sauerkirschnoten. Spontanvergoren, ganz leichte 11,50 % Vol. 15 EUR/Flasche in Deutschland. Erfrischend, "trinkig", schöner Sommerwein.